Gesundheitsversorgung in Zella-Mehlis: Stadt, Seniorenbeirat und Ärzte im Austausch mit der Kassenärztlichen Vereinigung
Immer wieder kommen Zella-Mehliser auf Bürgermeister Torsten Widder zu, weil sie auf der Suche nach einem Hausarzt scheitern. „Auch jüngere Generationen, die nach Zella-Mehlis zugezogen oder nicht oft krank sind, aber einen Arzt brauchen, stehen oft vor verschlossenen Türen oder können aus Kapazitätsgründen leider nicht aufgenommen werden.“, schildert er die Situation. Auch deswegen steht er in engem Kontakt mit den Ärzten vor Ort und weiß um deren Situation. „Wir wollen den Prozess begleiten und versuchen, mit guten Rahmenbedingungen, diesem Trend entgegenzuwirken“, sagt das Stadtoberhaupt bei einer Informationsveranstaltung. Dazu hatten der Seniorenbeirat und die Stadt Zella-Mehlis eingeladen, um mit Frau Dr. Annette Rommel, Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Thüringen (KV), ins Gespräch zu kommen.
In einem einstündigen Vortrag präsentierte Dr. Annette Rommel Bedarfsplanung und Statistiken und zeigte auf, was die KV unternehme. Im Bereich Suhl, zu dem auch Zella-Mehlis zählt, gibt es laut Statistik 28 Hausärzte, was nach Berechnungen der KV einer Versorgung mit 111 Prozent entspricht. Demnach gibt es keinen freien Arztsitz, der zu vergeben wäre, selbst wenn sich ein junger Allgemeinmediziner ansiedeln wollen würde.
Auch bei den Fachärzten sind die Zahlen ähnlich optimistisch. Bei Chirurgen und Orthopäden, HNO-Ärzten, Psychotherapeuten und Urologen gibt es keine freien Sitze. Bei Hautärzten sind 0,5 Stellen frei und selbst bei den Augenärzten sind es nur 1,5. Lediglich die Nervenärzte stechen mit 2,5 Sitzen hervor. Mit Blick auf die Altersstruktur bekennt Dr. Annette Rommel: „Es ist nicht so, dass wir unter 40 gar keine Ärzte haben, aber es sind zu wenig, die nachkommen“.
Gleichzeitig bricht die KV-Vorsitzende eine Lanze für die Ärzteversorgung: „Wir sollten nicht vergessen, wie hoch die Qualität der Versorgung ist“. Das macht sie am Beispiel der Augenärzte fest: Dies sei eine der innovativsten Fachrichtungen, bei der inzwischen Krankheiten wie zum Beispiel Erblindungen behandelt werden könnten. Gleichzeitig sei der Bedarf höher, weil die Menschen älter werden und von den besseren Therapiemöglichkeiten profitierten. Das wiederum bildet sich jedoch nicht in der Bedarfsplanung ab.
Dr. Annette Rommel sieht die Ursachen für die Situation in den politischen Entscheidungen nach der Wiedervereinigung, als Studienplätze gestrichen wurden und die Politik auf Medizinische Versorgungszentren setzte. Zwar wurde die Zahl der Studienplätze wieder erhöht, aber von den Absolventen profitiert fast nie der ländliche Raum. Selbst die finanziellen Anreize im fünf- und sechsstelligen Bereich locken längst nicht mehr. Die Studenten mit einem Stipendium zu binden, findet Dr. Annette Rommel schwierig, denn für jungen Menschen bedeute dies, sich schon vor dem Studium zu entscheiden.
Um kurzfristig Abhilfe zu schaffen, sieht die KV-Vorsitzende eine Lösung in multiprofessionellen Teams in den Praxen selbst. Sogenannte Physician Assistents – ein helfender Arzt fungiert als Bindeglied zwischen Arzt und medizinischen Fachangestellten – könnten Aufgaben übernehmen und den Arzt entlasten, der sich auf Diagnose und Therapie konzentrieren könne.
Gleichzeitig sieht sie Kommunen und Landkreise in der Werbungspflicht. „Sie müssen junge Menschen aus der Region für die Region zurückgewinnen. Thüringer sind bodenständig und wir erleben oft, dass sie zurückwollen nach Thüringen“, sagt Dr. Annette Rommel. Der Landkreis Schmalkalden-Meiningen vergibt hier schon seit mehreren Jahren Stipendien, weiß Bürgermeister und Kreistagsmitglied Torsten Widder zu berichten.
All die Zahlen und Antworten stellten viele Senioren wenig zufrieden. „Laut Statistik sind wir versorgt, aber vor der Tür sieht das Leben anders aus“, konstatierte Gernot Raßmann, Mitglied des Seniorenbeirats. Cornelia Köster, ebenfalls Mitglied der Seniorenvertretung, berichtete von Pflegeheimen, die nur noch Bewohner aufnehmen, wenn diese einen Hausarzt haben. Und: „Die Senioren, die nicht mobil sind und die keine Angehörigen vor Ort haben, bleiben auf der Strecke“ sagte sie.
All diese Schilderungen unterstrich Dr. Frank Molter, der zwischen 1200 und 1500 Patienten pro Quartal in seiner Praxis behandelt und damit über dem Thüringer Durchschnitt arbeitet. „Was jetzt eingetreten ist, kam mit 20-jähriger Ansage und ist zurückzuführen auf politisches Totalversagen“, sagt er. Jede Praxisgründung werde inzwischen gefeiert wie die Mondlandung, sieht er es und bemängelt: „Die Grundlage der Statistik entspricht nicht der Realität“. Denn allein in Zella-Mehlis seien mehr als die Hälfte der Hausarztpraxen weggefallen und es geisterten Patienten umher, die nicht wissen, wohin sie sollen. Er fordert neue Berechnungen für 2026.
Elisabeth Holland Cunz, Allgemeinmedizinerin im Ruhestand, spricht noch einen anderen Fakt an: „Das Problem jetzt, ist noch Gold im Vergleich zu dem, was noch kommt“.
Dr. Annette Rommel bietet an, gemeinsam mit den Ärzten, Ideen zu entwickeln: „Wir müssen Aktionen vor Ort machen, Ideen vor Ort entwickeln. Wir können uns zusammensetzen – mit Ärzten, mit Kommune und mit jungen Menschen“.
Bürgermeister Torsten Widder appellierte, dass das Problem in die Kassenärztliche Bundesvereinigung getragen werden müsse, damit es dort ankommt, wo Politiker letztendlich die Rahmenbedingungen für die ambulante Versorgung schaffen. „Wir als Kommune werden alles in unserer Macht stehende tun, um das möglich zu machen, was vor Ort gebraucht wird, wie Räumlichkeiten und Wohlfühlfaktoren“, sagt er abschließend und dankte allen Teilnehmern und Organisatoren für ihr Engagement.